Eine erfolgreiche Translationspolitik für eine spezifische Regional- oder Minderheitensprache umzusetzen stellt eine komplexe Aufgabe dar, nicht nur aufgrund des in der Literatur noch nicht genau umrissenen Begriffs der Translationspolitik, sondern auch wegen der vielfältigen Verflechtungen der Translationspolitik mit Sprachpolitik und Sprachenrecht. Die vorliegende Arbeit beschreibt den Zusammenhang zwischen Sprachpolitik, Minderheitenrechte und Translationspolitik (insbesondere Kapitel 3 und 4), stellt diese Frage entgegen vielen bestehenden Publikationen aber nicht in den Vordergrund der Betrachtung. Vielmehr geht es in dieser Untersuchung darum, die Merkmale einer effizienten und erfolgreichen Translationspolitik für Regional- oder Minderheitensprachen darzulegen.
Dazu wird zunächst eine Definition von Translationspolitik vorgelegt, die den Begriff in seiner umfassenden Bedeutung als der explizite und beobachtbare Eingriff einer Person oder eines Personenkreises, der/die über die nötige Kompetenz und Autorität verfügt/verfügen oder zumindest den Anspruch auf Kompetenz und Autorität besitzt/ besitzen, die Gewohnheiten oder Überzeugungen der ÜbersetzerInnen, AuftraggeberInnen und NutzerInnen von Übersetzungen zu verändern. Translationspolitik wird damit jedes bewusste und/oder unbewusste Gestalten bzw. Steuern von Translation unabhängig von einzelnen Personen sowie unabhängig von spezifischen Übersetzungen oder Übersetzungsaufträgen.
Translationspolitik zerfällt in die fünf großen Bereiche der Ideologiepolitik, der Organisationspolitik, der Personalpolitik, der Qualitätspolitik und der Technologiepolitik. Eine zentrale Bedeutung gewinnt durch eine solche umfassende Definition der Einsatz von Technologie zur Gestaltung und Organisation der Translation in einem spezifischen Kontext (Kapitel 5). Translationstechnologie wird in dieser Arbeit wiederum breit definiert als jede Art digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie, die den Translationsprozess durchführt bzw. unterstützt. Die wichtigsten Instrumente der Translationstechnologie werden beschrieben und ausgewählte Vertreter an Freier und Open-Source Software vorgestellt. Translationstechnologie erschöpft sich jedoch nicht in einzelnen Softwareanwendungen, sondern beinhaltet ebenso den Umgang mit den durch den Einsatz der Softwarewerkzeuge entstandenen und laufend entstehenden Daten, deren Wiederverwendung entscheidend die Effizienz des Übersetzens beeinflusst. Aus der Sicht der Translationspolitik bestehen vielfältige Optionen der Entscheidung für das eine oder andere Softwareprodukt, für eine zentrale oder dezentrale Anschaffung und Verwaltung der Translationstechnologie sowie für eine zentrale oder dezentrale Verwaltung der Übersetzungsdaten. Gemeinsame Voraussetzung bleibt jedoch immer, dass es einer kompetenten Stelle bedarf, die für diese Entscheidungen die Verantwortung übernimmt.
Die getroffenen Entscheidungen zur Translationspolitik variieren je nach Kompetenz der Verantwortlichen, Umfang der vorhandenen Ressourcen, Status der ÜbersetzerInnen, politischen und machtpolitischen Präferenzen, etc. Nachvollziehbarkeit und Begründung der getroffenen Entscheidungen setzen voraus, dass der Translationspolitik ein sinnvolles Entwicklungsmodell (Kapitel 6) zugrunde gelegt wird, das einerseits die allgemeinen Ziele des rechtlichen Kontextes der Regional- oder Minderheitensprache und andererseits die Erkenntnisse der Translationswissenschaft sowie die Best-Practices der Translationsindustrie umsetzt. Auf dieser Basis können mithilfe des aus dem Organisationsmanagement stammenden Reifegradmodells spezifische Entwicklungslinien für alle Bereiche der Translationspolitik vorgezeichnet werden. Das entsprechende TPM (Translation Policy Metrics)-Modell beschreibt für jeden Bereich spezifische Indikatoren, die jeweils fünf Stufen der Entwicklung aufzeigen. Diese insgesamt 27 Indikatoren, aufgeteilt auf 14 Teilbereiche, die ihrerseits den fünf Bereichen der Translationspolitik zugeordnet sind, verfügen damit über 135 Entwicklungsstufen und ermöglichen die Einschätzung des Entwicklungsstandes der Translationspolitik einer Institution, Organisation oder eines Gebietes mit Regional- oder Minderheitensprachen. Durch einfaches Feststellen der spezifischen Entwicklungsstufe für jeden Indikator kann die erreichte Stufe als Punkt vergeben werden, so dass auf der Skala zwischen mindestens 1 und maximal 135 Punkten ein Kontinuum an translationspolitischen Entwicklungsgraden angezeigt werden kann. Die Qualität der bis zum Zeitpunkt der Erhebung getroffenen translationspolitischen Entscheidungen ergibt sich als Funktion der erreichten Entwicklungsstufe. Dabei geht es jedoch nicht nur um eine absolute Punktezahl, sondern vielmehr um das Bewusstsein einzelner Problemstellen sowie um das Aufzeigen potentieller Optimierungsmöglichkeiten, die sich aus einer nach Teilbereichen differenzierten Analyse der erreichten Punktezahl ergeben.
Die exemplarische Umsetzung des Translation Policy Metrics-Modells erfolgt am konkreten Beispiel Südtirols (Kapitel 7). Dazu wird zunächst die historische Einbettung dieses Gebietes mit Regional- oder Minderheitensprachen aufgearbeitet. In der Folge werden in nationalen italienischen Gesetzesquellen mit Bezug zu Südtirol sowie in der Südtiroler Landesgesetzgebung Hinweise und Belege für translationspolitische Entscheidungen gesucht. Neben der gesetzlich festgelegten Translationspolitik wird die Wahrnehmung der Translationspolitik unter den in Südtirol tätigen ÜbersetzerInnen in einer empirischen Umfrage mit insgesamt 15 Fragen erhoben. Ergänzend dazu wird die Umsetzung der Translationspolitik in Südtirol sowie die Verlässlichkeit der Umfrageergebnisse in mehreren persönlichen Gesprächen mit Führungspersönlichkeiten im Bereich Übersetzen überprüft. Das sich aus diesen empirischen Daten ergebende Bild der Translationspolitik in Südtirol wird in der Folge in seinen wesentlichen Merkmalen und Problempunkten dargestellt: Die Relativierung der Unterschiede zwischen Sprach- und Translationskompetenz, die mangelnde Professionalisierung des ÜbersetzerInnenberufes sowie die fehlende Koordination und Kooperation zwischen den Übersetzungsdiensten. Die Anwendung des TPM-Modells auf Südtirol mit der Einordnung der gegenwärtigen Übersetzungssituation in eine der fünf Stufen jedes Indikators bestätigt diese Problembereiche, die vor allem in den dargestellten Netzdiagrammen mit Wiedergabe der Punkteanzahl in den einzelnen Teilbereichen zum Ausdruck kommen. Das TPM-Modell erweist sich dabei als eine tragfähige Vorlage zur Bestandsaufnahme der konkreten Translationspolitik einer Regional- oder Minderheitensprache, mit deren Hilfe die Stärken und Schwächen sowie Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt werden können.
Eine wichtige Maßnahme zur Umsetzung potentieller Optimierungschancen liegt in der Erhöhung des zur Verfügung stehenden Fachwissens, insbesondere auf der Führungsebene, die für die Translationspolitik verantwortlich zeichnet. Während das Ergebnis einer TPM-Analyse den Stand der institutionellen Translationskompetenz wiedergibt – dieses Konzept wird ausführlich beleuchtet und als aktuelle Bestandsaufnahme einer Translationspolitik definiert –, kann eine solche kollektive Kompetenz vor allem durch Ausbildung mit einem verstärkten Fokus auf Planung, Organisation und Führung erhöht werden (Kapitel 8). Die Betonung des theoretischen Hintergrundes der Translationswissenschaft zur Unterstützung der Argumentationsfähigkeit, vertiefte Kenntnisse der Technologieplanung, um Translationstechnologie optimal einsetzen zu können und die Vermittlung einer Datenstrategie, die das Speichern und Verfügbarmachen von Translationsdaten optimal umsetzen lässt, steigert die Führungskompetenz der akademisch ausgebildeten ÜbersetzerInnen und damit die Realisierung durchdachter translationspolitischer Entscheidungen.
Diese Zusammenfassung (Kapitel 9), das umfangreiche Literaturverzeichnis (Kapitel 10) sowie der Anhang (Kapitel 11) mit den beiden Umfragen und der vollinhaltlichen Wiedergabe der Interviews schließen diese Arbeit ab.
Der Autor hofft, mit dieser Untersuchung einen Beitrag zu einem bewussten Umgang mit translationsrelevanten Entscheidungen zu leisten, um Translationspolitik für Regional- oder Minderheitensprachen auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen und Entwicklungslinien für translationspolitische Entscheidungen aufzuzeigen. Mit dem TPM (Translation Policy Metrics)-Modell soll ein fundiertes Analysewerkzeug zur Verfügung gestellt werden, um den Stand der Translationspolitik in einem konkreten Umfeld bestimmen und potentielle Entfaltungsmöglichkeiten aufzeigen zu können.