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Übersetzen von Rechtstexten
Fachkommunikation im Spannungsfeld zwischen Rechtsordnung und Sprache

Peter SandrinI [Hrsg.] (1999): Tübingen: Narr (= Forum für FachsprachenForschung Nr. 52), 236 Seiten.

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Inhaltsverzeichnis

Narr book

Einleitung

Durch das Zusammenwachsen der Nationalstaaten in internationalen Organisationen, durch die immer engeren Wirtschaftsverflechtungen zwischen den Staaten nehmen auch die Berührungspunkte zwischen den einzelnen nationalen Rechtsordnungen zu. Zur Gewährleistung einer funktionierenden Kommunikation bedarf es der Übersetzung von Rechtstexten aller Art, vom Kaufvertrag über Versicherungsgutachten bis zum Gerichtsurteil. Gerade auch die zunehmenden Harmonisierungstendenzen setzen eine eingehende mehrsprachige Auseinandersetzung mit nationalen Rechtsinhalten und Rechtstexten voraus, wobei der Übersetzung eine zentrale Rolle zukommt.

Die Übersetzung von Rechtstexten wird in diesem Band verstanden als eine intellektuelle Tätigkeit, die es wissenschaftlich zu durchleuchten und zu erforschen gilt. Die Reflexion und das wissenschaftliche Aufarbeiten haben nicht das vorrangige Ziel, eine unmittelbare Hilfe für Praktiker anzubieten - sofern man den Umstand außer Betracht läßt, daß die Auseinandersetzung mit der eigenen Tätigkeit Vorgänge explizit und bewußt macht und dadurch Rationalisierungs- und Verbesserungsmöglichkeiten aufdeckt.

Die mit der Übersetzung von Rechtstexten verbundenen Probleme sollen vielmehr abstrakt dargestellt werden, damit allgemeingültige Schlußfolgerungen daraus gezogen werden können. Ein allzu praxisbezogener Ansatz führt leicht zu einer Aneinanderreihung von konkreten Schwierigkeiten, die didaktisch nur sehr schwer genutzt werden können, und tendiert häufig dazu, den Betrachtungsgegenstand in seiner gesamten Komplexität aus den Augen zu verlieren.

Im Gegensatz zu rezenten Publikationen mit ähnlicher Themenstellung (vgl. Morris 1995, Šarcevic 1997) soll hier insbesondere der Aspekt der Translation, der sich aus dem lateinischen Ursprung des Wortes "transferre - hinüberbringen", d.h. des Vermittelns von Inhalten aus einer Rechtsordnung in eine andere ergibt, beleuchtet werden. Eine genauere Themenpräzisierung sei an dieser Stelle angebracht: Die vorliegende Publikation beschäftigt sich ausschließlich mit der Übersetzung von Rechtstexten. Die dadurch implizierte Schriftlichkeit der Texte schließt den Bereich des mündlichen und sofortigen Übertragens von juristischem Diskurs aus, eine Tätigkeit die mit dem Terminus Gerichtsdolmetschen umschrieben wird und teilweise, wo dieser Diskurs auch verwaltungstechnische und soziale Fragen betrifft, das Community Interpreting miteinschließt. Gesprochene Sprache fällt damit nur dort unter den beabsichtigten Betrachtungswinkel, wo sie in schriftliche Form gebracht und anschließend zum Gegenstand translatorischer Anstrengungen wird (vgl. Bucholtz in Morris 1995: 115).

Andererseits wurde der Themenbereich nicht auf eine bestimmte spezifische Textsorte beschränkt, etwa auf die Erstellung mehrsprachiger Parallelversionen völkerrechtlicher Verträge, wo die exakte Wiedergabe des rechtlichen Inhalts der originären normativen Funktion des Zieltextes gegenübersteht. Das Spektrum der in den folgenden Beiträgen untersuchten Texte reicht von normativen Texten (Šarcevic, Vlachopoulos) bis zu Texten verfahrensrechtlicher Natur (Engberg, Wiesmann). Dennoch kann nicht eine möglichst vollständige Abdeckung aller Textsorten im Vordergrund des Bandes stehen, sondern lediglich das Aufzeigen von Problemen im translatorischen Umgang mit unterschiedlichen Rechtstexten.

Die Übersetzung von Rechtstexten kann nicht allein auf einem sprachlichen Verständnis beruhen, sondern muß, um ihre kommunikative Funktion zu erfüllen, das Handlungsumfeld sowie die Einbettung des Textes in das Spannungsfeld der involvierten Rechtsordnungen miteinbeziehen. In diesem Sinne kommen pragmatische Gesichtspunkte, Übersetzungssituation und -auftrag, zeitliche Aspekte sowie die spezifische Kompetenz des Übersetzers von Rechtstexten zur Sprache.

Ziel der Publikation ist es, den aktuellen Forschungsstand im Bereich der Übersetzung von Rechtstexten in einem Gesamtüberblick darzustellen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Problematik darf sich dabei nicht nur in der Darstellung und Aufarbeitung vorliegender Publikationen erschöpfen, sondern sie muß problemorientiert vorgehen, neue Denkansätze entwickeln und Forschungsperspektiven aufzeigen. Im Vordergrund steht dabei die rechtssystemübergreifende Übersetzung, während die Übersetzung von Rechtstexten innerhalb einer Rechtsordnung lediglich gestreift werden soll.

Zur Fachsprache Recht gibt es bereits eine Reihe von Veröffentlichungen in den Bereichen forensische Linguistik, juristische Semantik, Interpretation von Rechtstexten, Verständlichkeit von Gesetzestexten u.ä. Relativ wenig veröffentlicht wurde bisher jedoch zum Bereich der Übersetzung von Rechtstexten, zur pragmatischen Anwendung linguistischer und juristischer Erkenntnisse im Kommunikationsprozeß zwischen zwei Sprachen und unterschiedlichen Rechtsordnungen. Verschiedene Publikationen zu dieser Thematik liegen zwar in Form von Beiträgen zu Kongressen bzw. in Proceedings vor. Ausschließlich dieser Thematik gewidmete Publikationen und Monographien sind aber erst einzelne veröffentlicht worden (siehe Bibliographie in diesem Band).

Dies hängt vielleicht auch damit zusammen, daß die Übersetzung im Rahmen des umfassenderen Forschungsbereiches 'Recht und Sprache' zu sehen ist, hier allerdings zugunsten anderer Interessensgebiete etwas vernachlässigt wurde. Bemerkenswerterweise fehlt der Bereich Translation in dem von Judith Levi (Levi in Levi, J.; Walker, R. [Ed.] 1990: Language in the Judicial Process) vorgegebenen Schema zu den Forschungsgebieten im Bereich 'Recht und Sprache' ("Law and Language: Outline for Research" 1990: 14) sowie dem sprachwissenschaftlichen Interesse am Recht ("Application of linguistics in legal domains" 1990: 29) gänzlich. Klammert man in dieser Aufgliederung aus dem anglo-amerikanischen Raum, in dem traditionellerweise dem forensischen Diskurs (Forensic Linguistics, Conversational Analysis, Courtroom Discourse) große Aufmerksamkeit geschenkt wird, die ersten zwei Punkte (I. Spoken Language in Legal Settings und II. Language as a Subject of Law) aus, konzentrieren sich die Beiträge in diesem Band auf den dritten Punkt (III. Law and its Written Language). Von großer Bedeutung für den Bereich Translation sind hier alle drei genannten Einteilungen: A) Comprehensibility of written legal language, insbesondere hier auch der Punkt Language of laws and statutes, Language in contracts, B) Linguistic analyses, C) Problems in legal drafting and interpretation/construction.

Translatologie im Recht als Oberbegriff für Dolmetsch- und Übersetzungswissenschaft ist im Verhältnis zum Forschungsbereich 'Recht und Sprache' nach Levi transdisziplinär: Erkenntnisse aus beinahe allen Bereichen können genutzt werden. Zusätzlich zu den angegebenen Forschungsgebieten berührt das Erkenntnisinteresse der Übersetzungswissenschaft allerdings auch den ihr zentralen Forschungsgegenstand (Übersetzungsauftrag, -situation, -faktoren, usw.) sowie den für sie wichtigen Bereich der Rechtsvergleichung.

Übersetzungswissenschaft im Recht definiert sich als spezifischer Forschungsbereich im Rahmen der Fachkommunikation. Die vorliegende Publikation liefert somit einen Beitrag zu einer fachgebietsspezifischen Anwendung der allgemeinen Erkenntnisse der Übersetzungswissenschaft, wobei diese auf das Fachgebiet bezogen und um Fachspezifika erweitert werden. Solche fachspezifischen Besonderheiten sind für das Recht insbesondere:

Eine umfassende Theorie der Übersetzung von juristischen Texten erfordert die wissenschaftliche Durchleuchtung aller relevanten Aspekte. Ein Sammelband wie der vorliegende kann diese Forderung natürlich nicht zur Gänze erfüllen. Dennoch wurde bei der Auswahl der Autoren und der Themen darauf geachtet, möglichst viele Ansätze zu berücksichtigen, was auch in dem breiten Spektrum der Beiträge zum Ausdruck kommt: Von Untersuchungen zum Übersetzungsumfeld und -auftrag, über textsortenspezifische Probleme bis hin zu diachronen terminologischen Betrachtungen.

Die Einteilung dieses Bandes in drei Abschnitte widerspiegelt die Inhalte der einzelnen Beiträge und versucht, heterogene Ansätze und verschiedene Positionen in eine für den Leser überschaubare Ordnung zu bringen. Jede Klassifikation beinhaltet stets auch subjektive bzw. willkürliche Aspekte, die für den höheren Zweck der Ordnung in Kauf genommen werden müssen.

  1. Strategien und Konzepte (Sandrini, Stolze, Kjær)
    Die Beiträge dieses Abschnittes behandeln allgemeinere Fragen der Übersetzung von Rechtstexten: Fragen der Pragmatik, der Funktion des Zieltextes in Abhängigkeit vom Übersetzungsauftrag, Strategien der Übersetzung, aber auch abstraktere Betrachtungen zu den Zielen und den Aufgaben der Übersetzung im Recht.
  2. Konventionen in Rechtstexten (Engberg, Šarcevic, Soffritti, Vlachopoulos, Wiesmann)
    Hier stehen textsortenspezifische Fragen der Übersetzung im Mittelpunkt: An Beispielen einzelner Textsorten wird aufgezeigt, welche Probleme sich für die Übersetzung ergeben können und welche Strategien dabei angewandt werden.
  3. Rechtsbegriffe als Kultureme (Arntz, de Groot, Giuliani, Schmid)
    Die Spezifität der Rechtsbegriffe, ihre Vergleichbarkeit sowie die Probleme, die sie in der Übersetzung von Rechtstexten aufwerfen, stehen im Mittelpunkt des dritten Abschnittes. Die Beiträge beschäftigen sich mit Fragen der terminologischen Aufbereitung und Darstellung systemgebundener Termini.

Der dieser Publikation zugrundeliegende Ansatz ist keiner einzelnen Wissenschaftsdisziplin verpflichtet, sondern problemorientiert und interdisziplinär ausgerichtet. Erkenntnisse aus dem Bereich der Rechtswissenschaften und der Rechtsvergleichung, der angewandten Sprachwissenschaft, der Übersetzungswissenschaft, der Terminologielehre und der kontrastiven Lexikographie sollen dazu beitragen, die Übersetzung von Rechtstexten wissenschaftlich aufzuarbeiten und vertiefende Einblicke zu ermöglichen.

Adressaten dieses Bandes sind vor allem Übersetzungswissenschaftler und Sprachwissenschaftler, die sich mit der Fachsprache Recht beschäftigen, sowie juristische Übersetzer. Der Band richtet sich überdies an alle Rechtsanwender, die mit Mehrsprachigkeit innerhalb einer Rechtsordnung konfrontiert sind oder mit Texten zwischen zwei oder mehreren Rechtsordnungen arbeiten. Im besonderen sind dies Übersetzerabteilungen in größeren internationalen Organisationen, an den Gerichten und in der Staatsverwaltung, Rechtsfakultäten mit Instituten, die rechtsvergleichende Forschung betreiben und dazu Rechtstexte aus anderen Rechtsordnungen verstehen und übersetzen müssen.

Über die Autorinnen und Autoren

Arntz, Reiner, Prof. Dr.: Universität Hildesheim, Marienburger Platz 22, D-31141 Hildesheim
Forschungsschwerpunkte: Terminologielehre, Fachtextforschung
Giuliani, Stefano, Dr.: Institut für Strafrecht und sonstige Kriminalwissenschaften, Universität Innsbruck, Innrain 52, A-6020 Innsbruck
Forschungsschwerpunkte: Italienisches Strafrecht, rechtsvergleichendes Strafrecht.
Groot, de, Gerard René, Prof. Dr.: Faculteit der Rechtsgeleerdheid, Universiteit Maastricht, Postbus 616, NL-6200 MD Maastricht, E-Mail: Rene.deGroot@pr.unimaas.nl
Forschungsschwerpunkte: Rechtsvergleichung, Juristische Übersetzungen, Staatsangehörigkeitsrecht, Internationales und Europäisches Privatrecht.
Engberg, Jan, Dr.: Wirtschaftsuniversität Aarhus, Institut für Deutsch, Fuglesangs Allé 4, DK-8210 Aarhus V., E-Mail: je@asb.dk
Forschungsschwerpunkte: Textsortenlinguistik, Fachübersetzen, Untersuchung spezialisierter Kognition und deren Zusammenwirken mit Fachtexten.
Kjær, Anne Lise, Dr.: Juristische Fakultät der Universität Kopenhagen, 6. Studiestraede, DK-1455 Kopenhagen, E-Mail: Anne.Lise.Kjer@jur.ku.dk
Forschungsschwerpunkte: Rechtslinguistik, kontrastive Fachlexikologie, Übersetzung von Rechtstexten.
Sandrini, Peter, Dr.: Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Innsbruck, Fischnalerstraße 4, A-6020 Innsbruck, E-Mail: Peter.Sandrini@uibk.ac.at
Forschungsschwerpunkte: Terminologielehre, Fachübersetzen, Übersetzung von Rechtstexten.
Šarcevic Susan, geb. Gooding, B.A., M.A., Ph.D. Rechtswissenschaftliche Fakultät in Rijeka, Kroatien.
Forschungsschwerpunkte: Übersetzung von Rechtstexten, juristische Lexikographie.
Schmid, Annemarie, Prof. Dr.: Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Innsbruck, Kaiser Franz-Joseph-Straße 14, A-6020 Innsbruck, E-Mail: Annemarie.Schmid@uibk.ac.at
Forschungsschwerpunkte: Übersetzungstheorie, sprachwissenschaftliche Aspekte der Übersetzung.
Soffritti, Marcello, Prof. Dr.: Scuola Superiore di Lingue Moderne per Interpreti e Traduttori der Universität Bologna, Corso della Repubblica 136, I-47100 Forlì, E-Mail: soffritt@hapax.lingue.unibo.it
Forschungsschwerpunkte: kontrastive Syntax, computerlinguistische Sprachanalyse, computergestützte Sprachlehrforschung.
Stolze, Radegundis, Dr. Dipl.Übers.: Technische Universität Darmstadt, Prinz-Christians-Weg 11, D-64287 Darmstadt
Forschungsschwerpunkte: Übersetzungstheorie, Hermeneutik des Übersetzens, Faktoren der Übersetzungskompetenz.
Vlachopoulos, Stefanos, Dipl.Übers., Dipl.Dolm.: Institut für Fremde Sprachen, Dolmetschen und Übersetzen, Ionische Universität Korfu, Pl. G. Theotoki 36, GR-49100 Korfu Griechenland, E-Mail: vlachopo@kerkyra.hellasnet.gr
Forschungsschwerpunkte: Übersetzung von Rechtstexten und deren Didaktisierung.
Wiesmann, Eva, Dipl.Übers.: Universität Bologna, Via della Salute, 27, I-40132 Bologna, E.Mail: wiesmann@alma03.lingue.unibo.it
Forschungsschwerpunkte: Textlinguistik, Fachübersetzen.

Bibliographie zur Übersetzung von Rechtstexten

Die im Band veröffentlichte Bibliographie entstand im Dialog mit den einzelnen Autoren dieses Bandes, insbesondere mit Prof. Gerard René de Groot, Maastricht. Sie stellt eine Auswahl von Titeln dar, die für den Bereich Übersetzung von Rechtstexten, mehrsprachige Rechtsterminologie, Rechtssprache und Kommunikation zwischen Rechtsordnungen interessant sind.

Bewußt ausgeklammert wurde Literatur zur Thematik der Rechtssprache im allgemeinen - wir verweisen auf die ausführliche Bibliographie Nußbaumer, Markus (1997): Sprache und Recht. Groos Verlag, Heidelberg - und damit verwandter Bereiche wie z.B. die Verständlichkeitsforschung von Gesetzestexten, Interpretation von Rechtstexten, textlinguistische Untersuchungen im Recht, Gerichtsdolmetschen usw. Insgesamt umfaßt die Bibliographie 290 Titel, die sich aus Aufsätzen und Monographien zusammensetzen.

Es wurde versucht, auch „versteckte“ Publikationen, d.h. nicht als eigenständige Veröffentlichungen erschienene Beiträge zur Thematik wie etwa Kapitel zur Übersetzung von Rechtstexten in Monographien oder übersetzungstheoretische Einleitungen zu Übersetzungen von Gesetzestexten in die Bibliographie aufzunehmen.


Peter Sandrini [Hrsg.] (1999): Übersetzen von Rechtstexten - Fachkommunikation im Spannungsfeld zwischen Rechtsordnung und Sprache, Tübingen: Narr (= Forum für FachsprachenForschung Nr. 54), 236 Seiten, ISBN 3-8233-5359-4